Exkursion des Kunstgeschichtlichen Instituts nach Frankreich
Bericht zur Exkursion des Kunstgeschichtlichen Instituts nach Frankreich im Sommersemester 2024 (21. Juli – 29. Juli 2024)
Im 12. und 13. Jahrhundert entstand im Norden Frankreichs innerhalb einer kurzen Zeitspanne und in einem begrenzten Umfeld eine Vielzahl monumentaler Kathedralbauten mit aufwendigem Skulpturenschmuck. Die Region um Paris war daher besonders geeignet, um die Inhalte des Seminars „Architektur und Skulptur der Gotik in Frankreich und Deutschland“ vor Ort zu vertiefen und die anhand von Bildern kaum vollständig erklärbaren Besonderheiten der gotischen Architektur und eines jeden Bauwerks zu verdeutlichen. Anhand intensiver Begehungen von insgesamt 15 Kirchenbauten, die jeweils von einem der Exkursionsteilnehmenden vorgestellt und durch den Exkursionsleiter Prof. Hans W. Hubert im Detail nahegebracht wurden, konnte ein sehr tiefer Einblick in die mittelalterliche Architektur und Plastik gewonnen werden.
Die Exkursion startete nach einer gemeinsamen Autofahrt von Freiburg aus in Troyes. Die Kathedrale bildete einen guten Einstieg in die lange Serie der Kirchen, da durch die circa 450 Jahre lange Erbauungszeit sämtliche Stilphasen der Gotik am Bau ablesbar sind. Es wurden die ersten Versuche unternommen, die unterschiedlichen Bauphasen anhand des eigenen Sehvermögens abzulesen und zu datieren, was über die 9 Tage noch vielfach geübt und deutlich verbessert wurde. Auf die ikonographische Entschlüsselung der Skulpturenprogramme mussten wir allerdings bis zum nächsten Tag warten, da in Troyes kaum Bauschmuck erhalten ist.
In Auxerre und in Sens, unseren Zielen für den zweiten Exkursionstag, gab es hingegen viele Skulpturen und Reliefs aus der Nähe zu sehen. Lange Zeit standen wir vor den ausgeschmückten Portalanlagen und rätselten über den dargestellten Figuren und Szenen. Auch diese Fähigkeit des Erkennens und Deutens von Darstellungen konnte durch die unermüdliche Übung vor Ort, die Hinweise von Prof. Hubert und das am Ende gewonnene Bildergedächtnis erkennbar verbessert werden. Besonders in Erinnerung blieb in Auxerre, neben den Bilderrätseln an den Portalen, die romanische Krypta mit einem seltenen Fresko des auf einem Schimmel reitenden Christus. In Sens wurde hingegen das erste Mal der Unterschied zwischen der in Einzelelementen denkenden frühgotischen Bauweise und der Vereinheitlichung der Hochgotik greifbar. Zwischen den Kathedralen besichtigten wir an diesem Tag außerdem das Kloster Pontigny, eine der Primarabteien der Zisterzienser. Die völlig schmucklose und doch beeindruckend minimalistische Architektur verdeutlichte den starken Unterschied zwischen den Kirchentypen Abtei und Kathedrale, sowie die Rolle von Bauschmuck oder dessen Absenz für das Raumgefühl.
Am folgenden Tag erschlossen wir uns die Kathedrale von Chartres, einer der Initialbauten gotischer Architektur und Skulptur und eines der Highlights der Exkursion. Allein mit der Betrachtung der zahlreichen ausgeschmückten Portale verbrachten wir mehrere Stunden, worauf die Begehung des Innenraums folgte. Den Abschluss bildete eine Führung durch den Untergrund der Kathedrale.
Noch einige Jahre früher ist der Neubau der Kirche Saint-Denis, Grablege der fränkischen und französischen Könige seit dem 8. Jahrhundert, entstanden, die wir am vierten Tag unserer Frankreich-Exkursion besuchten. Ihr Chor, der 1140 im Auftrag von Abt Suger erneuert wurde, gilt als Gründungsbau der Gotik. Der von außen stark restaurierte Bau begeisterte von innen durch das schimmernde Licht der Buntglasfenster und die vielen Grabmäler. Besonders in Erinnerung blieb auch der Besuch der Krypta, wo wir die filigranen Darstellungen der zahlreichen Kapitelle studierten. Am selben Tag besuchten wir die Kathedrale von Beauvais, deren Gewölbe als höchstes der Welt gilt. Da das Bauwerk nie vollendet wurde und am Übergang vom Querhaus zum Langhaus noch heute mit einer provisorischen Bretterwand aus dem 16. Jahrhundert versehen ist, konnten wir daran den Bauvorgang auf den mittelalterlichen Baustellen gut nachvollziehen.
Den fünften Exkursionstag verbrachten wir in Amiens, ein Höhepunkt französischer Kathedralbauten und auch ein
Höhepunkt der Exkursion. Die skulpturale Ausschmückung der Westfassade wurde hier auf die Spitze getrieben und wir brachten lange Zeit mit der Entschlüsselung des komplexen Bildprogramms zu. Außerdem wurde am Innenraum die sogenannte Stapelbauweise durch Prof. Hubert verdeutlicht, eine für die gotische Architektur revolutionäre Bautechnik, die es anhand einer genauen Planung und vorab produzierter Bauteile ermöglichte, die Kathedrale in unter 50 Jahren zu errichten.
Am darauffolgenden Tag standen wieder unterschiedliche Bauwerke auf dem Programm. Zuerst besuchten wir die Kathedrale von Senlis, eine der kleineren Kathedralen, die jedoch ein beeindruckendes Marienportal mit gut sichtbaren, seltenen Farbresten aufweist. Nach den vorangegangenen Tagen und den vielen Datierungsübungen konnte der Großteil der Exkursionsteilnehmenden das Bauwerk durch die eigene Augenarbeit gut datieren. Daraufhin fuhren wir nach Soissons und besichtigten neben der Kathedrale auch die Ruine des Klosters Saint-Jean-des-Vignes. Von der Abtei steht noch die Westfassade, Teile des Kreuzgangs und der gut erhaltene Kapitelsaal mit dem darunterliegenden Weinkeller.
Am siebten Tag unserer Exkursion befassten wir uns mit der Kathedrale von Laon, die aufgrund ihrer vier (geplant waren sieben) Türme auch als Ideal einer Kathedrale bezeichnet wird. Die Türme wurden sogar von Villard d’Honnecourt in seinem Musterbuch – eine der wenigen Quellen mittelalterlicher Architekturzeichnung – festgehalten. Auch der Innenraum stellte sich als Besonderheit heraus, da die Kathedrale zu einer Zeit erbaut wurde, in der das Strebesystem noch nicht voll ausgeprägt war und aus statischen Gründen daher Emporen zwischen die Langhausarkaden und das Triforium gesetzt wurden. Insgesamt lernten wir anhand der Kathedrale viel über die frühgotische Bauweise: ihre Spitzbogenfenster weisen noch kein Maßwerk auf, die Fensterrose im nördlichen Querhaus verfügt hingegen schon über Stanzmaßwerk und die Pfeiler des Langhauses verdeutlichen die Entwicklung von der Säule mit vorgestellten Diensten hin zum Bündelpfeiler. Noch tiefere Einblicke und vor allem Ausblicke erhielten wir durch eine Führung in den Obergeschossen und Türmen der Kathedrale.
Der vorletzte Exkursionstag hielt noch ein Highlight für uns bereit: die Kathedrale von Reims. Die Bedeutsamkeit des Bauwerks zeigt sich vor allem an der Westfassade, die beinahe vollständig mit Bauplastik bedeckt ist. Der Kathedrale kommt eine besondere Rolle zu, da hier im 5. Jahrhundert der Frankenkönig Chlodwig getauft und durch Bischof Remigius gesalbt wurde. Seitdem wurden in Reims die fränkischen und französischen Könige gekrönt. Das Öl für die Salbung wurde hingegen in der Abtei Saint-Remi aufbewahrt, die über dem Grab Bischof Remigius‘ entstanden sein soll.
Dieser Basilika aus dem 11. und 12. Jahrhundert statteten wir ebenfalls einen Besuch ab und waren beeindruckt von der ungewöhnlichen Architektur. Zum einen konnte man am Bau ein direktes Gegenüber von romanischen, frühgotischen und spätgotischen Bauteilen beobachten, zum anderen wurde die Westfassade mit antiken Spolien versehen und dadurch mit einer hohen Würde ausgezeichnet.
Auf dem Heimweg nach Freiburg machten wir noch einen Stopp in Metz und konnten dort ein letztes Mal unser gewonnenes Wissen und die neu erlangten Fähigkeiten der Datierung und ikonographischen Bestimmung unter Beweis stellen. Auf der Exkursion haben wir nicht nur viel neues über die Geschichte Frankreichs, die unterschiedlichen Bauformen der Romanik und Gotik, die Arbeitsweisen auf mittelalterlichen Baustellen, Wege des Informationsaustauschs im Mittelalter und vieles mehr gelernt. Vielmehr haben wir auch und haben Möglichkeiten gezeigt bekommen, bereits gelerntes in praktischen Techniken anzuwenden. Außerdem haben sich neue Kontakte und Freundschaften zwischen den Studierenden geknüpft und einige haben ihr Interesse in die Architektur und Skulptur neu entdeckt. Dem Alumni Freiburg e.V. sei für die finanzielle Unterstützung der Exkursion gedankt.
Leoni Mössle mit weiteren Teilnehmenden der Exkursion.