Von Till Milla
Den ganzen Sommer haben die Studierenden der Vorderasiatischen Archäologie auf Grabung in Irak-Kurdistan verbracht. Nach nur zwei Wochen zurück in Deutschland gewann das Fernweh wieder überhand, und so brach die Abteilung für Vorderasiatische Archäologie am 28.10.22 zu einer zehntägigen Exkursion nach Zentralanatolien auf. Mit vier Studierenden und einem Gasthörer, die von einer Dozentin sowie einer Professorin begleitet wurden, waren wir eine recht kleine Exkursionsgruppe. Ab Ankara fuhren wir mit einem angemieteten Bus verschiedene Stationen an, um auf dieser Rundfahrt die wichtigsten archäologischen Orte der Region zu besuchen. Dabei sollte ein Verständnis der kulturellen und historischen Entwicklung Zentralanatoliens vom Neolithikum bis zur Eisenzeit erlangt werden.
Nach einer verspäteten Ankunft in Ankara ruhten wir uns zunächst aus, bevor wir zu unserem ersten Ziel loszogen. Das Ankara Museum für anatolische Zivilisationen beherbergt Kulturschätze aus dem ganzen Land, die in die Zeit zwischen Neolithikum und Eisenzeit datieren. Bei der Besichtigung betrachteten und diskutierten wir über die ausgestellten Artefakte, um ein Verständnis der materiellen Kultur der jeweiligen Epochen zu gewinnen. Am zweiten Exkursionstag wurde der Museumsbesuch abgeschlossen, bevor wir weiter nach Boğazkale fuhren.
Nach Abschied von der Hauptstadt der Türkei waren wir am 31.10. auf dem Weg zu einer viel früheren Hauptstadt Anatoliens: Hattuša, die Hauptstadt der Hethiter. Sie liegt im anatolischen Hochland und erstreckt sich über steilen Hängen und Klüften. Hier entwickelte sich im 2. Jt. v. Chr. eine der einflussreichsten und sicherlich bedeutendsten Städte ihrer Zeit. Unsere Reisegruppe wird sich der Gewalt dieser Stadt schnell bewusst, als wir die Fundamente des “Großen Tempels” sahen, der größte Tempel der Stadt. Um möglichst viel von Hattuša zu sehen, mussten wir mit dem Auto von Station zu Station fahren. Die prunkvollen Stadttore, die hochgelegene Palastanlage und die vielen Tempelruinen malten ein lebhaftes Bild der vergangenen Stadt.
Nach unserem Aufenthalt in Hattuša verbrachten wir den Abend im eindrucksvollen Felsheiligtum Yazilikaya. Der Ort ist v. a. für seine Götterreliefs aus der hethitischen Großreichszeit bekannt, welche in die natürlichen entstandenen Felskammern eingemeißelt wurden. Die Art des Heiligtums und welche Bräuche dort zur hethitischen Zeit stattfanden, ist weiterhin sehr umstritten. Es gibt Hinweise darauf, dass der Ort bereits im Chalkolithikum für rituelle Zwecke aufgesucht wurde. In der Hauptnutzungszeit des Heiligtums, der hethitischen Großreichszeit, wurden Tempelgebäude vor den Felskammern errichtet. In den Felskammern, die als das Allerheiligste dienten, sind zu dieser Zeit u. a. Reliefs einer Götterprozession entstanden.
Am 01.11. brachen wir zuerst zum Boğazkale Museum auf, wo wir uns die Objekte aus Hattuša ansahen. Wenig später machten wir uns auf den Weg zum archäologischen Park des Alaca Höyük und hielten uns am Vormittag in den Ruinen eines ebenfalls wichtigen Kultzentrums der Hethiter auf. Es zeichnet sich durch großreichszeitliche Monumentalarchitektur aus: Eindrucksvoll ist der Komplex des 5ha großen Tempel-Palastes und das Sphinxtor am Stadteingang. Das Sphinxtor ist an seinen Außenwänden mit kultischen Prozessions- sowie Jagdreliefs geschmückt. Diese bilden das Großkönigspaar in seiner religiösen Funktion ab (der Großkönig nämlich war nämlich auch der oberste Priester in hethitischer Zeit). Die Besiedelung des Ortes geht allerdings bis ins Chalkolithikum zurück und wichtige Befunde gibt es auch aus der Frühbronzezeit. Es wurden Gräber aus dem 3. Jt. v. Chr. dort entdeckt, die sich durch ein besonders reiches Beigabenspektrum aus technisch hochwertig hergestellten Bronze-, Silber- und Goldobjekten auszeichnen. Die Elitegräber wurden im archäologischen Park sowie um Çorum Museum nachgestellt, die Objekte aus den Gräbern konnten wir bereits im Museum von Ankara aus nächster Nähe betrachten.
Am nächsten Tag fuhren wir von Çorum nach Šapinuwa, einem Fundort im Landkreis Ortaköy. Sie galt als eine der hethitischen Hauptstädte. Šapinuwa war ein wichtiges administratives, militärisches und religiöses Zentrum im Reich der Hethiter. Dadurch, dass die Oberstadt den Besuchern nicht zugänglich war, zogen wir über das Gelände der Unterstadt, die sich durch vier große Gebäude administrativer Natur auszeichnete. Die Dimensionen der Ruinen sowie die Funde darin boten uns einen Hinweis auf die Bedeutsamkeit dieser einstigen Stadt. Gleich nach diesem Besuch machten wir uns auf den Weg nach Šamūḫa, ebenfalls einer wichtigen Siedlung mit großen administrativen Gebäuden aus hethitischer Zeit. Auch waren Wohnhäuser aus der vorausgegangen kārum-Zeit, in welchen Tontafeln entdeckt wurden, anzutreffen. Wenig später fuhren wir nach Kayseri los, um die Nacht dort zu verbringen.
Am frühen Morgen des 6. Tages brachen wir auf, um eines der wichtigsten städtischen Zentren der Bronzezeit in Zentralanatolien zu besichtigen. Kültepe, das in der Kayseri-Ebene gelegen ist und seit mehr als 60 Jahren ausgegraben wird, war schon seit der Frühbronzezeit besiedelt und erreichte in der Mittelbronzezeit seine größte Ausdehnung. Bei unserem Besuch wurde klar, dass Archäologen dort immer noch aktiv ausgruben. Der Grabungsleiter, dem wir begegneten, bat großzügigerweise seinen Doktorstudenten uns eine Führung durch den Fundort zu geben. Die Stadt bestand aus einer Oberstadt mit Palast-, Tempel und anderen administrativen Anlagen und einer ausgedehnten Unterstadt. Kaneš, wie die Stadt damals hieß, verdankte seinen Einfluss einem florierenden Handel, der von assyrischen Kaufleuten aus dem heutigen Nordirak angetrieben wurde. Sie ließen sich in diesem fremden Land nieder und betrieben regen Handel, dessen Einzelheiten sich in übertausenden Keilschrifttafeln niederschlugen. Im 18. Jh. v. Chr. fiel die Stadt einem Brand zum Opfer und wurde aufgegeben. Nach dem Besuch wurden wir dann von dem Grabungsleiter freundlicherweise empfangen und zum Mittagessen eingeladen. Am Abend fuhren wir entspannt nach Göreme los. Aber auf dem Weg dorthin legten wir eine Pause in Avanos, einer Kleinstadt bekannt für seine Keramikerzeugnisse, ein.
In Göreme besuchten wir am nächsten Tag die Höhlenkirchen, die in den eindrucksvollen Felsen der kappadokischen Landschaft hineingeschlagen wurden. Diese Kirchen, die in der frühen byzantinischen Zeit entstanden sind, waren im Inneren mit wunderbaren Wandmalereien dekoriert, die Szenen aus der christlichen Mythologie darstellten. Als nächste Station unserer Exkursion besuchten wir Aşıklı Höyük, einen der frühsten neolithischen Fundorte in der Region. Wohnhäuser und deren Vorrichtungen, die sich teilweise unter einem Schutzdach befanden, boten uns einen Einblick in das Leben der Bewohner im 8. Jt. v. Chr. Unser nächster Stopp war Acemhöyük, ein riesiger Ruinenhügel aus der Mittelbronzezeit, aus der wichtige Palast- sowie administrative Gebäude zutage gefördert worden sind. Da die Unterstadt modern überbaut ist, beschränkte sich unser Besuch auf die Oberstadt. Nach einem vollen Tag kehrten wir in Konya ein, wo wir die Nacht verbrachten.
Am nächsten Tag, den 05.11. wollten wir die Altstadt von Konya erkunden. Bei unserem Bummel sahen wir kunstvoll gestaltete Moscheen, Koranschulen und auch ein Mausoleum. Wenig später fuhren wir nach Çatalhöyük, unserer letzten Reiseetappe. Diese Siedlung aus der spätneolithischen und chalkolitischen Zeit hatte eindrucksvolle Wohnhäuser, die von Schutzdächern gespannt waren. Da ein wesentlicher Teil des Ortes für die Besucher abgeriegelt war, konnten wir nicht viel davon sehen. Rekonstruktionen der Wohnarchitektur auf dem archäologischen Park sowie ein Besucherzentrum dienten dazu, das Erlebnis so realitätsnah wie möglich zu gestalten. Mit diesem Besuch wurde unsere lehrreiche Exkursion beendet. Am selben Tag fuhren wir nach Ankara zurück, um nach Deutschland zu fliegen.
Diese Exkursion wäre ohne die großzügige Bezuschussung durch die Alumni Freiburg nicht leicht umzusetzen gewesen. Diese Exkursion ist die erste, die in zwei Jahren an der Abteilung für Vorderasiatische Archäologie stattgefunden hat. Mit Ihrer Hilfe wurden die Exkursionskosten für die Studierenden einfacher zu stemmen. Diese Exkursion war für uns ein bereicherndes und sehr lehrreiches Erlebnis, das wir Ihnen verdanken!