Deutsch – Französischer Abend beim Alumni–Club Berlin Brandenburg
Lesung mit Alumnus Jochen Thies in der Buchhandlung Knesebeck 11
Nachbar Frankreich – von der Migration zur Versöhnung
Gelegentlich offenkundig und streckenweise fast beklemmend wurden Parallelen zu vielen aktuellen europa- und geopolitischen Konfliktfeldern der heutigen Zeit deutlich, als Alumnus Jochen Thies am 24. November einem interessierten Publikum aus seinen jüngsten Büchern, in denen er sich mit sehr speziellen deutsch-französischen Themen befasst, vorlas.
Knapp 25 Zuhörer fanden sich im passenden Ambiente der gut sortierten Charlottenburger Buchhandlung „Knesebeck 11“ ein, um von Thies einen intensiven und mit vielen persönlichen Erfahrungen angereicherten Einblick in die 300 Jahre alte Geschichte der Migration französischer Hugenotten nach Deutschland und Preußen zu erhalten. Was damals preußische Willkommenskultur gegenüber den aus Frankreich Vertriebenen war, zeigte sich nach dem Zweiten Weltkrieg in der französischen Besatzungszone mit der Stadt Offenburg als Zentrum im Gegenzug als von Franzosen initiierter Ausgangspunkt für eine Versöhnung mit dem vormaligen Kriegsgegner.
Anhand seiner eigenen hugenottischen Familiengeschichte zeichnet Thies in seinem Buch „Die Reise, die 300 Jahre dauerte“ den Weg der französischen Protestanten durch Deutschland bis in das ferne Ostpreußen sowie die im Laufe der Zeit erzielten Integrationsleistungen des Volkes seiner Vorfahren nach. Etwa 200.000 Hugenotten hätten sich damals aus Frankreich auf den Weg machen müssen, 40.000 seien nach Deutschland gekommen, die meisten wurden zunächst in der Uckermark angesiedelt. Preußen unter Friedrich II. habe den Wert und den Nutzen dieser Zuwanderung erkannt, sei auf diese Einwanderung vorbereitet gewesen und habe die vorwiegend in Landwirtschaft und Handwerk erfahrenen Menschen bei der Niederlassung und Existenzgründung unterstützt. Tabakanbau und Handwerk gehörten bald zu den Erfolgsgeschichten der Neuankömmlinge.
Ihr Fleiß und Erfolg führten allerdings bald auch zu Missgunst und Neid bei der ansässigen Bevölkerung, sodass die Hugenotten sich bereits nach einer Generation erneut auf den Weg machten und in das ferne Ostpreußen zogen. Dort gab es keine materielle Starthilfe mehr, aber auch hier gelang bald die Ansiedlung und die Schaffung einer ausreichenden Lebensgrundlage. Als damals viele Frauen aus verarmten Regionen des seinerzeit preußischen Neuchatel in der Schweiz nach Ostpreußen kamen, wurden viele Ehen mit den eingewanderten Hugenotten geschlossen.
Thies berichtet vom Leben seiner Vorfahren im ostpreußischen Judtschen, wo Imanuel Kant einige Jahre als Hauslehrer wirkte. Kant übernahm dort eine Reihe von Patenschaften, zu denen auch ein Vorfahr von Thies gehörte. Die kirchenamtliche Dokumentation dieser Beziehung konnte Thies ausfindig machen und befindet sich in seinem Besitz.
Thies schlägt dann einen thematischen Bogen zur Stadt Offenburg im Ortenaukreis, wo unmittelbar nach Ende des Krieges von französischer Seite ein wichtiger Grundstein für die Versöhnung zwischen den einstigen Kriegsgegnern gelegt wurde. Thies, der seine aus Gengenbach stammende Frau während des Studiums in Freiburg kennenlernte, beschreibt in „Die Stadt der Versöhnung – Offenburg als Herz der deutsche-französischen Freundschaft“, wie sich vor allem der französische Jesuit und Militärseelsorger Jean du Riveau, der nach Offenburg geschickt wird, um die materielle und seelische Not der vom Krieg demoralisierten Deutschen kümmert. Er organisiert Begegnungen, gründet Publikationen in beiden Sprachen und gilt als ein Begründer des Deutsch-Französischen Jugendwerks. Aenne Burda erfährt Unterstützung für die Gründung ihres Modeimperiums. Die Franzosen hätten in ihrer Besatzungszone vornehmlich auf Kultur als verbindendes Element gesetzt, während Briten und Amerikaner mehr strategische bzw. wirtschaftliche Interessen in ihren Zonen verfolgt hätten. Der Offenburger Bundestagsabgeordnete Wolfgang Schäuble schrieb das Vorwort zum Buch, das Thies auch Emanuel Macron geschickt hat. Dessen Büro habe sehr ausführlich geantwortet.
Thies beschließt seine Lesung mit mahnenden Worten, dass die deutsch-französischen Beziehungen schwierigen Zeiten entgegen gingen. Umso wichtiger sei es, sie täglich zu schützen und zu bestätigen. Deutschland sehe Europa mehr technokratisch während Frankreich den europäischen Gedanken mehr verinnerlicht habe und auch führen wolle. Beide Länder seien gemeinsam dazu bestimmt, Europa erfolgreich zusammenzuhalten.
Der Abend klang bis weit nach Mitternacht aus in dem Traditionslokal „Schiller-Klause“, wo es Gelegenheit zu vertiefenden Gesprächen bei Bier, Wein und einem frugalen Berliner Buffet gab.
Jochen Wolter